Randgebiete

„Der Blick hinauf zur entrückten Wartburg gehört zum Heimatgefühl in Eisenach wie der Fernblick vom Bergfried in die Welt. Ich kann mich erinnern, wie uns Kindern, wenn wir über dessen Zinnen schauten, von Erwachsenen „der Westen“ gezeigt worden war. Die hüglige Landschaft, die wir in dieser verheißungsvollen Himmelsrichtung erblickten, unterschied sich kaum von der des Eisenacher Umlandes und weckte dennoch Vorstellungen von einem ganz anderen, bunteren und freieren Leben.

Wäre es nicht an der Zeit, endlich auch Westdeutschland ethnografisch zu erkunden? Welche Anteile des westlichen Alltags werden mir durch die Brille meiner Ostdeutschen Normalität fremd erscheinen? Welche Selbstbilder finde ich in Westdeutschland, und wie werden diese mit Bildern von Ostdeutschland ins Verhältnis gesetzt? Welchen Westdeutschen Unmut erlebe ich? Und wo beweisen die Westdeutschen Mut?Vielleicht werden sich auch ganz andere, ungeahnte Fragen stellen?“  

Juliane Stückrad, aus „ Die Unmutigen, die Mutigen“,Kanon-Verlag,2022 

Die Ethnologin Juliane Stückrad und der Fotograf Ulrich Kneise sind unweit des Sperrgebietes an der Grenze zwischen BRD und DDR im thüringischen  Eisenach aufgewachsen. Sie teilen Grenzerfahrungen ebenso, wie sie die Umbrüche nach dem Fall der Mauer erlebten und auch dokumentierten. Entlang der Thüringischen Grenze zu Niedersachsen, Hessen und Bayern gehen sie in diesem Buch nun der Frage nach, ob uns in Ost und West nicht mehr verbindet als trennt. Sie zeigen die Unteilbarkeit einer Kulturlandschaft ebenso, wie sie Menschen in Worts und Bild nahe kommen, die im „Randgebiet“ ihre Heimat gefunden haben. Diese fotografisch-ethnologische Vermessung des Standes der deutschen Einheit im ehemaligen Grenzgebiet will erzählen, wie Bewohner der betroffenen Regionen nahezu in aller Stille diesen Transformationsprozess in Ost und West gemeistert haben. 

Impressionen der Ausstellung