Persönlich
Ulrich Kneise - Fotografien 1980–2011
Meine Heimatstadt ist Eisenach. Hier begann, ich vor mehr als 25 Jahren zu fotografieren. Wieder und wieder richte ich seither meine Kamera voller Neugier auf meine Stadt und ihre Bewohner. Ich blicke dabei auf scheinbar Vertrautes, um mich immer wieder überraschen zu lassen. Zu Beginn meiner Arbeit suchte ich die Begegnung mit meiner Stadt und ihren Menschen auf Strassen und Plätzen. Was ich bis Mitte der neunziger Jahre in klassischem Schwarzweiss aufnahm, ist im Projekt "ZeitSprung" dokumentiert. Das Buch fand weite Verbreitung, die Ausstellung wurde bundesweit gezeigt. Diese Bilder sind heute Dokumente gewesener Realitäten. Was mir damals Ausdruck für Heimat schien, hat nur auf den Fotos überdauert. Um die politischen Umbrüche in der ehemaligen DDR ging es mir dabei weniger. Sie waren nicht abzusehen, als ich zu fotografieren begann. Es ging um meine Sicht auf diese gesellschaftliche Wirklichkeit: Ich hatte Fragen, die ich mir aus eigener Anschauung beantworten wollte. Die wirtschaftlichen und politischen Umbrüche kamen mir zuvor. Nun begleitete ich das Sterben volkseigener Großbetriebe mit der Kamera: ob Automobilwerk, Kammgarnspinnerei, Schnellwaagenfabrik, Fahrzeugelektrik, Lacufa-Lackfabrik oder Spezima-Anlagenbau, niemand störte es, wenn ich die letzen Bilder an noch belebten Bändern aufnahm oder unangemeldet durch die verwaisten Werkhallen strich. Auch das Aus für Produktionsgenossenschaften des Handwerks, für Hotels und Gaststätten, für privaten Handel und Kleingewerbe vollzog sich in wenigen Wochen direkt vor meiner Haustür. Zwangsläufig fehlt es in meinen Bildern nicht an Melancholie. Auch Industrieansiedlungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch heute alle Hoffnung auf Sicherheit trügerisch ist. Eine Erfahrung, die mittlerweile Ost und West vereint. Bangte man vor gerade einem Jahr nicht bei Opel in Bochum ebenso um den Arbeitsplatz wie in Eisenach?
Wie als Fotograf auf all das reagieren? Welche Bilder finde ich heute jenseits von morbidem Charme, süßer Schwermut und naiver Auf-bruchstimmung? Kann ich mich den geglätteten Oberflächen von heute auf gleiche Weise nähern? Die Serie großformatiger Porträts sind der Versuch, Geschichten aus meiner Heimatstadt zu erzählen, ohne mich zu wiederholen. Ich verstehe meine neuen Bilder als Zeugnisse gegen die Zeit: farbig und voller Schärfe wie die Wirklichkeit.
Ulrich Kneise