Aura

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G r u ß w o r t

von Christine Lieberknecht, Thüringer Ministerpräsidentin a.D.

Lange Zeit haben sie im verborgenen geschlummert. Es sind die großen Schätze Thüringer Schnitzkunst aus vergangenen Jahrhunderten. Die "fotografische Annäherung" an das Wesen der Holzplastiken, die Thüringer Künstler im Mittelalter geschaffen haben, spricht den heutigen Betrachter ganz unmittelbar an.

Wir ahnen, dass mehr in den figürlichen Darstellungen steckt als historisch Geprägtes, als konkrete Figürlichkeit. Die Holzplastiken zeigen den Menschen in demütiger Haltung vor Gott und in ausgelassener Lebenslust, trotz aller Not und dem kränkenden Elend des Alltags, von dem aus dieser Zeit reichlich zu berichten wäre. Die Figuren geben Zeugnis von der Tiefe und der Vielfalt der menschlichen Erfahrungen, auch wenn oft Kriege wüteten und die menschenunwürdigen Folgen von inneren und äußeren Auseinandersetzungen verkraftet werden mussten. Die schlicht gestalteten Figuren beeindrucken durch vielschichtige Klarheit des Ausdrucks, dadurch, dass der Betrachtende spürt: Ich bin als Mensch auf die geheimnisvolle Gnade eines allmächtigen Gottes angewiesen.

Holz wird zum Symbol fasrigen und durch ineinander verwobene Fasern stabilisierten, gelingenden Lebens. Dem schnitzenden Nachgestalter dieses Lebens ist Kunst nicht Waffe, ist nicht Mittel eines frustrierenden Widerstandes, sondern Antwort auf die ewige Frage, wie individuelles Leben gestaltet und gerechtfertigt werden kann. Schön und gelungen erscheint Leben dann, wenn die innere Struktur des Daseins einem göttlichen Abbild entspricht, wenn ich bereit bin, mein Leben nach einem geheimnisvollen Plan gestalten zu lassen und selbst mutig und liebevoll an seiner Gestaltung mitwirke. Die mittelalterliche Schnitzkunst aus Thüringer Kirchen gibt dem heutigen Betrachter den Blick frei auf eigenes Denken und Fühlen. Das macht die fotografischen Arbeiten von Ulrich Kneise und diese Ausstellung im Lutherjahr 2017 so einmalig, so bewundernswert und wertvoll.